Keine eigenhändige Unterschrift bei Ausschnitt aus einem Blankoexemplar

BGH, Beschluss v. 27.08.2015, III ZB 60/14
Leitsatz:
1. Die aus einem Blankoexemplar ausgeschnittene und auf die Telefax-Vorlage eines bestimmenden Schriftsatzes (hier: Berufungsschrift und Berufungsbegründung) geklebte Unterschrift des Prozessbevollmächtigten einer Partei erfüllt nicht die an eine eigenhändige Unterschrift nach § 130 Nr. 6 i.V.m. § 519 Abs. 4 , § 520 Abs. 5 ZPO zu stellenden Anforderungen. (amtlicher Leitsatz)

Gründe:
I. Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung von 1.275 € (nebst Zinsen und vorgerichtlichen Anwaltskosten) im Zusammenhang mit einem zwischen den Parteien geschlossenen Unterrichtsvertrag in Anspruch. Das Amtsgericht hat die Beklagte mit Versäumnisurteil vom 13. September 2013 antragsgemäß verurteilt. Nach Einspruchseinlegung hat es das Versäumnisurteil - mit Ausnahme eines geringfügigen Teils der vorgerichtlichen Anwaltskosten - aufrechterhalten. Das Urteil vom 25. November 2013 ist dem damaligen Prozessbevollmächtigten der Beklagten, Rechtsanwalt V. S., am 21. Dezember 2013 zugestellt worden. Hiergegen ist mit Telefax vom 21. Januar 2014 unter dem Briefkopf des Prozessbevollmächtigten der Beklagten Berufung eingelegt worden. Innerhalb verlängerter Frist sind am 25. April 2014 und 29. April 2014 - wiederum unter dem Briefkopf von Rechtsanwalt S. - das Rechtsmittel begründende Schriftsätze per Telefax bei dem Berufungsgericht eingegangen. Sämtliche Schriftsätze weisen eine als "S." lesbare Unterschrift auf, wobei oberhalb der Unterschrift jeweils eine horizontal verlaufende Linie erkennbar ist. Nachdem das Berufungsgericht die Beklagte aufgefordert hatte, das Zustandekommen der Unterschriften auf den beiden Berufungsbegründungen zu erläutern, teilte Rechtsanwalt G., der damals Mitarbeiter in der Kanzlei S. war und später die anwaltliche Vertretung der Beklagten übernommen hat, mit Schriftsatz vom 16. Juli 2014 mit, er habe die Angelegenheit bearbeitet. Auf Wunsch der Mandantin und mit Einverständnis von Rechtsanwalt S., der alle Schriftsätze gekannt habe, habe er am 21. Januar 2014 gemäß seinem handschriftlichen Entwurf Berufung eingelegt. Rechtsanwalt S. habe auf einem leeren Blatt seine Unterschrift geleistet. Da deren Position nicht genau gepasst habe, habe er, Rechtsanwalt G., die Unterschrift ausgeschnitten, auf den Berufungsschriftsatz geklebt und an das Berufungsgericht gefaxt. Bei den beiden Schriftsätzen zur Berufungsbegründung sei - nach Billigung der handschriftlichen Entwürfe durch Rechtsanwalt S. - in gleicher Weise verfahren worden.

Ebenfalls mit Schriftsatz vom 16. Juli 2014 hat Rechtsanwalt S. diese Schilderung bestätigt und ergänzend ausgeführt, die handschriftlichen Entwürfe der Schriftsätze vom 21. Januar 2014 sowie vom 25. und 29. April 2014 seien von ihm geprüft und gebilligt und anschließend von Rechtsanwalt G. (am PC) in Reinschrift getippt worden. Das Ausschneiden und Aufkleben der blanko gegebenen Unterschriften sei mit seinem Einverständnis erfolgt.

Mit Hinweisverfügung vom 21. Juli 2014 - zugestellt am 25. Juli 2014 hat das Berufungsgericht Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit einer lediglich "aufgeklebten" Unterschrift geäußert. Daraufhin beantragte Rechtsanwalt G. mit am 8. August 2014 eingegangenem Telefax, der Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die etwaige Versäumung der Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist zu gewähren.

Mit Beschluss vom 7. Oktober 2014 hat das Landgericht unter Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags die Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass eine Beteiligung des ursprünglich bestellten Rechtsanwalts S. am Berufungsverfahren nicht erkennbar sei, da bereits die Berufungseinlegung lediglich mit aufgeklebter Unterschrift erfolgt sei. Schon aus dem Erscheinungsbild der Schriftsätze ergebe sich nicht, dass sich auf der Urschrift der Fernkopie tatsächlich die Unterschrift ihres Urhebers befinde. Damit lasse sich den bei Gericht eingegangenen Schriftstücken nicht entnehmen, ob der bevollmächtigte Rechtsanwalt sich diese zu Eigen gemacht habe. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lägen nicht vor. Es hätte dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten klar sein müssen, dass die bloße Verbindung einer separat gefertigten Unterschrift mit einem Schriftsatz den Anforderungen des § 130 Nr. 6 ZPO nicht genüge.

Dagegen wendet sich die Beklagte mit der Rechtsbeschwerde.

II. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist jedoch nicht zulässig, weil weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordern (§ 574 Abs. 2 ZPO).

1. Das Berufungsgericht hat die Berufung zu Recht als unzulässig verworfen. Entgegen der Auffassung der Beschwerde hat es dabei die Anforderungen an eine wirksame eigenhändige Unterschrift nach § 130 Nr. 6 ZPO nicht in einer Art und Weise überspannt, die das Verfahrensgrundrecht der Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) verletzen würde.

a) Die hier maßgeblichen Rechtsfragen sind höchstrichterlich bereits geklärt. Gemäß § 130 Nr. 6 ZPO i.V.m. § 519 Abs. 4, § 520 Abs. 5 ZPO müssen die Berufungsschrift und die Berufungsbegründung als bestimmende Schriftsätze grundsätzlich von einem zur Vertretung bei dem Berufungsgericht berechtigten Rechtsanwalt eigenhändig unterschrieben sein. Die Unterschrift soll die Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Prozesshandlung ermöglichen und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck bringen, die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen und diesen bei Gericht einzureichen. Zugleich soll sichergestellt werden, dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern dass es mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet wird. Für den Anwaltsprozess bedeutet dies, dass die Berufungsschrift und die Berufungsbegründung von einem dazu bevollmächtigten und bei dem Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalt zwar nicht selbst verfasst, aber nach eigenverantwortlicher Prüfung genehmigt und unterschrieben sein müssen (st. Rspr., vgl. nur Senatsbeschluss vom 26. Juli 2012 - III ZB 70/11, NJW-RR 2012, 1142 Rn. 6; BGH, Urteil vom 29. Oktober 1997 - VIII ZR 141/97, NJW-RR 1998, 574; Beschlüsse vom 23. Juni 2005 - V ZB 45/04, NJW 2005, 2709; vom 10. Oktober 2006 - XI ZB 40/05, NJW 2006, 3784 Rn. 7; vom 26. Oktober 2011 - IV ZB 9/11, BeckRS 2011, 26453 Rn. 6 und vom 12. September 2012 - XII ZB 642/11, NJW 2012, 3378 Rn. 16).

Das Erfordernis der eigenhändigen Unterschrift entfällt nicht dadurch, dass die Berufung - was zulässig ist - per Telefax eingelegt und begründet wird. In diesem Fall genügt zwar die Wiedergabe der Unterschrift in Kopie, jedoch muss es sich bei der Kopiervorlage um den eigenhändig unterschriebenen Originalschriftsatz handeln (Senatsbeschluss vom 26. Juli 2012 aaO Rn. 6; BGH, Beschluss vom 23. Juni 2005 aaO). Die Wirksamkeit der Prozesshandlung setzt somit voraus, dass die Kopiervorlage von einem postulationsfähigen Rechtsanwalt unterschrieben worden ist und dessen Unterschrift auf der Kopie wiedergegeben wird.

Mit dem äußeren Merkmal der Unterschrift ist aus Gründen der Rechtssicherheit auch ohne einen darüber hinausgehenden Nachweis davon auszugehen, dass der Anwalt den Prozessstoff eigenverantwortlich durchgearbeitet hat und die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes tragen will. Für ein Rechtsmittelgericht besteht deshalb in aller Regel kein Anlass, den Inhalt einer anwaltlich unterschriebenen Berufungsbegründung darauf zu überprüfen, in welchem Umfang und wie gründlich der Anwalt den Prozessstoff tatsächlich selbst durchgearbeitet hat (BGH, Beschlüsse vom 23. Juni 2005 aaO und vom 12. September 2012 aaO Rn.16). Dementsprechend ist eine Blankounterschrift grundsätzlich geeignet, die Form zu wahren. Dabei muss allerdings gewährleistet sein, dass der Rechtsanwalt den Inhalt des noch zu erstellenden Schriftsatzes so genau festgelegt hat, dass er dessen eigenverantwortliche Prüfung bereits vorab bestätigen konnte (BGH, Beschlüsse vom 23. Juni 2005 aaO S. 2710 und vom 12. September 2012 aaO Rn. 17 f). So kann ein Schriftsatz zum Beispiel vom ortsabwesenden Rechtsanwalt telefonisch diktiert und anschließend - etwa anhand der Textdatei oder durch Übersendung per Telefax überprüft worden sein (BGH, Beschluss vom 12. September 2012 aaO Rn. 18).

b) Nach diesen Maßstäben ist das Berufungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die von Rechtsanwalt G. aus dem jeweiligen Blankoexemplar ausgeschnittenen und auf die Telefax-Vorlage geklebten Unterschriften des damaligen Prozessbevollmächtigten der Beklagten nicht geeignet waren, die an eine eigenhändige Unterschrift nach § 130 Nr. 6 i.V.m. § 519 Abs. 4, § 520 Abs. 5 ZPO zu stellenden Anforderungen zu erfüllen.

Durch die hier gewählte Verfahrensweise war nicht gewährleistet, dass Rechtsanwalt S. durch seine Blankounterschrift die Verantwortung für den Inhalt der Berufungsschrift und der Berufungsbegründung vorab übernahm. Zutreffend weist die Beschwerdeerwiderung darauf hin, dass das blanko unterzeichnete Schriftstück zur Erstellung der Schriftsätze vom 21. Januar 2014 und vom 25./29. April 2014 nicht verwendet wurde. Weder wurde der Text in das Blankoexemplar eingefügt noch mit diesem verbunden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Dezember 1965 - VIII ZB 33/65, NJW 1966, 351 und vom 12. September 2012 aaO Rn. 2; siehe auch MüKoBGB/Einsele, 7. Aufl., § 126 Rn. 11). Vielmehr hat Rechtsanwalt G. die Unterschrift aus dem Blankoexemplar ausgeschnitten und auf einen Schriftsatz geklebt, dessen Inhalt dem damaligen Prozessbevollmächtigten der Beklagten nur als handschriftlicher Entwurf bekannt war. Auf diese Weise ist eine Collage entstanden, die auch mittels einer früheren, in ganz anderem Zusammenhang geleisteten Unterschrift hätte erstellt werden können und die es ermöglichte, die ausgeschnittene Unterschrift - je nach Festigkeit der Klebeverbindung - gegebenenfalls mehrfach zu verwenden. Insoweit ist der vorliegende Fall rechtlich nicht anders zu beurteilen als die Fälle, in denen ein mittels eines normalen Telefaxgeräts übermittelter bestimmender Schriftsatz lediglich eine eingescannte Unterschrift aufweist, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs den Formerfordernissen des § 130 Nr. 6 ZPO nicht genügt (BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2006 - XI ZB 40/05, NJW 2006, 3784 Rn. 11). Es war ebenso wie bei einer eingescannten Unterschrift nicht gewährleistet, dass Rechtsanwalt S. die Verantwortung für den Inhalt der Rechtsmittelschriftsätze übernommen hatte und es sich nicht lediglich um ungeprüfte Entwürfe handelte. Im vorliegenden Fall war es auch tatsächlich so, dass Rechtsanwalt S. zum Zeitpunkt der Leistung der Blankounterschriften nur handschriftliche Entwürfe von Schriftsätzen vorlagen, die Rechtsanwalt G. anschließend am PC fertig stellen sollte. Ohne Kenntnis des endgültigen Textes war Rechtsanwalt S. nicht in der Lage, dessen eigenverantwortliche Prüfung vorab zu bestätigen.

2. Auch hinsichtlich der Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags ist die Rechtsbeschwerde nicht zulässig, da die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht angenommen, dass der Wiedereinsetzungsantrag unbegründet ist. Denn es fehlt an einem Wiedereinsetzungsgrund. Nach § 233 ZPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert war, die Berufungsfrist (§ 517 ZPO) oder die Berufungsbegründungsfrist (§ 520 Abs. 2 ZPO) einzuhalten. Das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten ist einer Partei zuzurechnen (§ 85 Abs. 2 ZPO). So liegt der Fall hier. Die Formunwirksamkeit sowohl der Berufungseinlegung als auch der Berufungsbegründung beruht darauf, dass der damalige Berufungsanwalt eine mit § 130 Nr. 6 ZPO unvereinbare Verfahrensweise gewählt hat. Seine im Widerspruch zur höchstrichterlichen Rechtsprechung stehende Auffassung, dass das Kriterium der Eigenhändigkeit der Unterschrift auch bei einer aus dem Blankoexemplar ausgeschnittenen und auf ein anderes Schriftstück geklebten Unterschrift gegeben sei, beruhte auf einem vermeidbaren Rechtsirrtum und damit auf einem Verschulden, welches sich die Beklagte gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Juni 2005 aaO).