Verjährung/Verwirkung des Anspruchs auf Rückzahlung überzahlter Stromnutzungsentgelte

BGH, Urteil v. 22.07.2014, KZR 13/13
Leitsatz:
1. Die Frage, ob die vom Betreiber eines Elektrizitätsnetzes in einem nach Vertragsschluss veröffentlichten Preisblatt festgelegten Netznutzungsentgelte der gerichtlichen Überprüfung nach § 315 Abs. 3 BGB unterliegen, war auch vor der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 18. Oktober 2005 (KZR 36/04, BGHZ 164, 336 - Stromnetznutzungsentgelt I) nicht als in einem solchen Maße zweifelhaft und ungeklärt anzusehen, dass einem Netzkunden die Erhebung einer Klage auf Rückzahlung des nicht geschuldeten Teils des Entgelts zur Hemmung der Verjährung unzumutbar war.. (amtlicher Leitsatz)

Tatbestand:

Die Beklagte betrieb in den Jahren 2002 bis 2004 ein Stromverteilnetz in Dortmund. Die Klägerin nutzte dieses Netz seit 2002 zur Versorgung ihrer Kunden. Sie zahlte hierfür Entgelte, die auf der Grundlage von Preisblättern berechnet wurden.

Mit Anwaltsschreiben vom 12. November 2008 forderte die Klägerin die Beklagte erstmals auf, einen Teil des gezahlten Entgelts für die Jahre 2003 und 2004 zu erstatten. Am 30. Dezember 2008 beantragte sie den Erlass eines Mahnbescheids, der am 8. Januar 2009 zugestellt wurde.

Die Entscheidung ist wegen der Ausführungen des Bundesgerichtshofs zu den Grundlagen der streitgegenständlichen Bereicherungsansprüche und zu einer nicht vorliegenden Anlaufhemmung der Verjährung interessant.

Entscheidungsgründe:

Der Bundesgerichtshof weist darauf hin, dass für die Frage, ob die Klägerin über einen ausreichenden Kenntnisstand i.S.d. § 199 BGB verfügte, allerdings auch rechtliche Gesichtspunkte von Bedeutung sein können.

Gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB muss sich die Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis des Gläubigers auf alle tatsächlichen Umstände erstrecken, die zur Entstehung des Anspruchs erforderlich sind. Ausreichende Kenntnis im Sinne dieser Vorschrift ist gegeben, wenn dem Gläubiger auf Grund der ihm bekannten oder aufgrund grober Fahrlässigkeit unbekannt gebliebenen Tatsachen zugemutet werden kann, zur Durchsetzung seiner Ansprüche gegen eine bestimmte Person aussichtsreich, wenn auch nicht risikolos Klage zu erheben. Dabei muss der Gläubiger seinen Anspruch nicht abschließend beziffern können. Es genügt, wenn er etwa eine Feststellungsklage erheben kann (vgl. nur BGH, Urteil vom 10. Mai 2012 - I ZR 145/11, GRUR 2012, 1248 = WRP 2013, 65 Rn. 30 - Fluch der Karibik).

Erforderlich und genügend ist im Allgemeinen die Kenntnis der tatsächlichen Umstände; die zutreffende rechtliche Würdigung des bekannten Sachverhalts wird grundsätzlich nicht vorausgesetzt. Rechtlich fehlerhafte Vorstellungen des Gläubigers beeinflussen den Beginn der Verjährung deshalb in der Regel nicht. Ist die Rechtslage dagegen unübersichtlich oder zweifelhaft, so dass sie selbst ein rechtskundiger Dritter nicht zuverlässig einzuschätzen vermag, kann der Verjährungsbeginn auch wegen Rechtsunkenntnis hinausgeschoben sein, weil es an der Zumutbarkeit der Klageerhebung als übergreifender Voraussetzung für den Verjährungsbeginn fehlt (BGH, Urteil vom 25. Februar 1999 - IX ZR 30/98, NJW 1999, 2041, 2042; Urteil vom 3. März 2005 - III ZR 353/04, NJW-RR 2005, 1148, 1149).

Der Bundesgerichtshof befasst sich weiter mit der rechtlichen Grundlage von Abschlagszahlungen, die vorliegend das Berufungsgericht fehlerhaft beurteilt hat:

Rechtsgrund für die Abschlagszahlungen ist die vertragliche Abrede der Parteien über die Erbringung solcher Vorauszahlungen (BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2010 - KZR 41/09, ZNER 2011, 314 Rn. 3; Urteil vom 19. März 2002 - X ZR 125/00, NJW 2002, 2640, 2641). Ein Anspruch auf Erstattung von Vorauszahlungen besteht deshalb nur, wenn die Vorauszahlungsabrede unwirksam ist (BGH, NJW 2002, 2640, 2641 [BGH 19.03.2002 - X ZR 125/00]). Ist nur der Vergütungsanspruch teilweise unbegründet, so kann dem Bereicherungsgläubiger nur ein auf das Gesamtjahr bezogener Rückzahlungsanspruch zustehen (BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2010 - KZR 41/09, ZNER 2011, 314 Rn. 4).

Der Rückzahlungsanspruch kann grundsätzlich erst dann geltend gemacht werden, wenn der Gläubiger eine Jahresabrechnung erstellt hat. Der Bereicherungsanspruch entsteht also erst dann, wenn der Lieferant die Endabrechnung erstellt oder wenn er es in von ihm zu vertretender Weise versäumt, die geschuldete Abrechnung nach Fälligkeit der Abrechnungspflicht innerhalb angemessener Frist vorzunehmen (BGH, Urteil vom 23. Mai 2012 - VIII ZR 210/11, NJW 2012, 2647 Rn. 10; Urteil vom 26. September 2012 - VIII ZR 279/11, NJW 2013, 1077 Rn. 44).

Fraglich ist, ob diese Argumentation zumindest für das Zeitmoment einer Verwirkung fruchtbar gemacht werden kann. Wenn man unterstellt, dass ein Energielieferant zum Beginn des auf den Belieferungszeitraum folgenden Zeitraums eine Abrechnung erstellen könnte, könnte man das Zeitmoment nach spätestens 4 Jahren ab Ende des Belieferungszeitraums für gegeben halten.

Für mich bemerkenswert ist, dass sich der Bundesgerichtshof nebenbei auch zu der Prognostizierbarkeit gerichtlicher Entscheidungen (im Zusammenhang mit der Zumutbarkeit der Erhebung einer Klage) äußert: „….ist ein ausreichender Kenntnisstand im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB gegeben, wenn dem Gläubiger auf Grund der ihm bekannten oder aufgrund grober Fahrlässigkeit unbekannt gebliebenen Tatsachen zugemutet werden kann, zur Durchsetzung seiner Ansprüche gegen eine bestimmte Person aussichtsreich, wenn auch nicht risikolos Klage zu erheben.

Damit gesteht der Bundesgerichtshof dem Rechtsanwender zu, dass in der Regel eine Klage nicht risikolos erhoben werden kann. Die Gründe können nur in der schwierigen Anwendung des geschriebenen und obergerichtlich gesprochenen Rechts sowie in vielfältigen Rechtsanwendungsfehlern der Spruchkörper liegen. Dessen sollte sich ein Mandant bezüglich eines jeden gerichtlichen Verfahrens bewusst sein.