BGH, Urteil v. 19.01.2016, II ZR 61/15
Leitsatz:
Eine verdeckte Sacheinlage einer Altforderung des Gesellschafters liegt sowohl dann vor, wenn erst die geschuldete Bareinlage eingezahlt und sodann zur Tilgung der Gesellschafterforderung zurückgezahlt wird, als auch dann, wenn in umgekehrter Reihenfolge erst die Gesellschafterforderung getilgt und der erhaltene Betrag sodann ganz oder teilweise als Bareinlage zurückgezahlt wird. (amtlicher Leitsatz)
Entscheidung:
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der H. GmbH (im Folgenden: Schuldnerin). Der Beklagte ist neben A. und R. Gesellschafter der Schuldnerin.
Mit Beschluss vom 29. Mai 2007 verlängerten die Gesellschafter der Schuldnerin eine Tilgungsaussetzung für Gesellschafterdarlehen bis zum 30. Juni 2008. Am 27. März 2008 teilte die Buchhalterin der Schuldnerin dem Beklagten mit, dass ein Fehlbetrag von 100.000,- € bestehe. Im März 2008 veranlasste der Beklagte eine Gutschrift i.H.v. 50.000,- € mit dem Buchungstext "H. Z. [Beklagter] Einlage". Im April 2008 erhielt die Gesellschaft auf Veranlassung des A einen Betrag in Höhe von 50.000,- €. Der Buchungstext lautete: "Kapitalerhöhung A“. Zuvor wurde dem Konto der Schuldnerin auf Grund eines dem Beklagten zugerechneten Überweisungsauftrags ein Betrag in Höhe von 49.939,01 € gutgeschrieben. Auf Empfehlung des Steuerberatungsbüros der Schuldnerin wurde auf dem Ausdruck der Buchungsunterlagen vermerkt: "Storno der 1. drei Buchungen, wegen Text, es muss heißen Darlehen."
Im April 2008 beschloss die Gesellschafterversammlung der Schuldnerin eine Erhöhung des Stammkapitals der Schuldnerin um mindestens 150.000,- €. Der Beklagte übernahm einen Geschäftsanteil von 100.000,- €, A. übernahm einen Geschäftsanteil von 50.000,- €. Die Kapitalerhöhung beim Registergericht angemeldet und im Juni 2008 in das Handelsregister eingetragen.
Im Mai 2008 teilte der Beklagte der Buchhalterin unter anderem mit: "... Ich muss heute die 100.000,- Euro Kapitalerhöhung für H. einzahlen. Sie erhalten von B. 100.000,- Euro im Auftrag von H. Z. Verwendungszweck Kapitalerhöhung Urkundenrolle Nr. 419/2008 Bitte senden Sie 100 ts. € zurück auf das Konto mit Vermerk Rückführung, Darlehen H. Z. ... Sie erhalten in der nächsten Stunde die Bankadresse von Herrn A., dort senden Sie die 50.000.- Darlehen zurück. Herr A. wird die 50.000,- sofort als Kapitalerhöhung wieder an H. (Konto I. senden)".
Am 21. Mai 2008 überwies die Schuldnerin 100.000,- € an die B. GmbH mit Verwendungszweck "Rückführung Darlehen H. Z.". Am 21. Mai 2008 wurde auf dem Konto der Schuldnerin eine Einzahlung der B. GmbH in Höhe von 100.000,- € mit Buchungstext "Kapitaleinlage Urkunde Nr. 419/2008 H. Z." gebucht. Am 5. Juni 2008 überwies die Schuldnerin 100.000,- € an den Beklagten mit dem Verwendungszweck "Rückzahlung". Am 9. Juni 2008 überwies der Beklagte 100.000 € an die Schuldnerin mit dem Verwendungszweck "Kapitaleinlage Urkunde NT. 419 2008 H. Z.".
Das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin wurde am 1. Oktober 2010 eröffnet.
Der Kläger ist der Ansicht, der Beklagte habe seine mit der Kapitalerhöhung übernommene Einlage nicht erbracht, und hat ihn auf Zahlung von 100.000,- € in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Der Bundesgerichtshof hebt das Berufungsurteil auf und verweist die Sache zurück.
Das Berufungsgericht habe rechtsfehlerhaft angenommen, dass die Einlageverpflichtung des Beklagten nicht durch Anrechnung des infolge der beiden Zahlungen vom 27. und 31. März 2008 entstandenen Bereicherungsanspruchs des Beklagten gegen die Schuldnerin gemäß § 19 Abs. 4 Satz 3 GmbHG ganz oder teilweise erloschen sei.
Der Beklagte hat jedoch mit den beiden Zahlungen vom 27. März 2008 und vom 31. März 2008 seine durch den Kapitalerhöhungsbeschluss vom 29. April 2008 und seine Übernahmeerklärung begründete Einlageverpflichtung in Höhe von 100.000,- € nicht erfüllt.
Voreinzahlungen auf eine künftige Kapitalerhöhung haben grundsätzlich nur dann Tilgungswirkung, wenn der eingezahlte Betrag im Zeitpunkt der Beschlussfassung und der mit ihr üblicherweise verbundenen Übernahmeerklärung noch als solcher im Gesellschaftsvermögen zweifelsfrei vorhanden ist (BGH, Urteil vom 15. März 2004 - II ZR 210/01, BGHZ 158, 283, 284 f.; Beschluss vom 11. Juni 2013 - II ZB 25/12, ZIP 2013, 1422 Rn. 14). Dies ist dann der Fall, wenn und soweit sich der geschuldete Betrag entweder in der Kasse der Gesellschaft befindet oder der Gesellschafter auf ein Konto der Gesellschaft einzahlt, soweit dieses anschließend und fortdauernd bis zur Fassung des Kapitalerhöhungsbeschlusses ein Guthaben ausweist (vgl. BGH, Urteil vom 15. März 2004 - II ZR 210/01, BGHZ 158, 283, 284 f.; Urteil vom 24. April 2008 - III ZR 223/06, ZIP 2008, 1928 Rn. 14).
Die Einlageverbindlichkeit des Beklagten in Höhe von 100.000,- € ist durch Anrechnung des Werts der im Hinblick auf die Zahlungen des Beklagten Ende März 2008 entstandenen Forderung des Beklagten gegen die Schuldnerin nach § 56 Abs. 2, § 19 Abs. 4 Satz 3 GmbHG erloschen.
Dabei ist § 19 Abs. 4 und 5 GmbHG in der seit dem 1. November 2008 geltenden Fassung einschlägig. § 3 Abs. 4 EGGmbHG ordnet die Geltung des § 19 Abs. 4 und 5 GmbHG in der ab dem 1. November 2008 geltenden Fassung auch für vor diesem Zeitpunkt bewirkte Einlageleistungen an, soweit sie nach der vor dem 1. November 2008 geltenden Rechtslage wegen der Vereinbarung einer Einlagenrückgewähr oder wegen einer verdeckten Sacheinlage keine Erfüllung der Einlagenverpflichtung bewirkten. Die Rückwirkung bezieht sich auch auf Kapitalerhöhungen (vgl. BGH, Urteil vom 20. Juli 2009 - II ZR 273/07, BGHZ 182, 103 Rn. 13 - Cash-Pool II; Urteil vom 22. März 2010 - II ZR 12/08, BGHZ 185, 44 Rn. 19 - ADCOCOM).
Zu Gunsten des Beklagten sei für die Revisionsinstanz vom Bestehen einer entsprechenden Bereicherungsforderung des Beklagten gegen die Schuldnerin auszugehen. Das Landgericht war zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich bei den Zahlungen des Beklagten Ende März 2008 trotz der zwischenzeitlichen Buchung auf einem Darlehenskonto des Beklagten und der Verwendung des Begriffs Darlehen in der E-Mail des Beklagten vom 21. Mai 2008 nicht um die Gewährung eines Darlehens gehandelt habe. Der Betrag sei angesichts des fehlenden Kapitalerhöhungsbeschlusses lediglich vom Kapitalkonto auf das Darlehenskonto verbucht und bis zur endgültigen Klärung "geparkt" worden.
Aus der Verpflichtung des Geschäftsführers einer GmbH, für die ordnungsmäßige Buchführung der Gesellschaft zu sorgen, ergibt sich zwar eine Verteilung der Darlegungs- und Beweislast zu seinen Lasten, aber keine unwiderlegbare Vermutung zu seinen Lasten dahin, der Inhalt einer Buchung gebe die Rechtswirklichkeit zutreffend wieder. Der beklagten Geschäftsführer ist berechtigt, zum Zwecke seiner Beweisführung Einsicht in die Buchhaltung der GmbH zu nehmen (vgl. BGH, Urteil vom 9. Mai 1974 - II ZR 50/72, NJW 1974, 1468; Urteil vom 8. Juli 1985 - II ZR 198/84, ZIP 1985, 1135, 1136). Hat der Geschäftsführer seiner Darlegungslast insoweit aber genügt, darf dieses nicht unbeachtet bleiben. Zu Gunsten des Beklagten sei davon auszugehen, dass er der Schuldnerin mit den Zahlungen Ende März 2008 kein Darlehen gewährt hat, sondern es sich vielmehr um Voreinzahlungen auf eine künftige Kapitalerhöhung gehandelt hat. Durch die rechtsgrundlose, verfrühte Leistung auf die Kapitalerhöhung ist deshalb eine Forderung des Beklagten gegen die Schuldnerin aus ungerechtfertigter Bereicherung in entsprechender Höhe entstanden. Diese Rückzahlungsforderung hätte auf dem Wege einer offen zu legenden und der registergerichtlichen Prüfung zu unterwerfenden Sacheinlage eingebracht werden können (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 1968 - II ZR 144/67, BGHZ 51, 157, 159; Urteil vom 15. März 2004 - II ZR 210/01, BGHZ 158, 283, 285; Urteil vom 26. Juni 2006 - II ZR 43/05, BGHZ 168, 201, 204). Die beiden gegenläufigen Überweisungen vom 21. Mai 2008 in Höhe von 100.000,- € können bei der weiteren Betrachtung außer Betracht bleiben. Es handelt sich hierbei um eine Fehlüberweisung und deren Korrektur.
Die Zahlung befreie den Beklagten zwar nicht von seiner Einlageverpflichtung (§ 19 Abs. 4 Satz 1 GmbHG). Auf die fortbestehende Einlagepflicht wird aber gemäß § 19 Abs. 4 Satz 3 GmbHG der Wert der eingebrachten Bereicherungsforderung angerechnet, so dass die Einlageverbindlichkeit durch Anrechnung ganz oder teilweise erloschen sein kann.
Eine verdeckte Sacheinlage liegt vor, wenn die gesetzlichen Regeln für Sacheinlagen dadurch unterlaufen werden, dass zwar eine Bareinlage beschlossen oder vereinbart wird, die Gesellschaft aber bei wirtschaftlicher Betrachtung von dem Einleger aufgrund einer im Zusammenhang mit der Übernahme der Einlage getroffenen Verwendungsabsprache einen Sachwert oder - wie vorliegend - eine Altforderung erhalten soll (BGH, Urteil vom 15. Januar 1990 - II ZR 164/88, BGHZ 110, 47, 60 f.; Urteil vom 22. März 2010 - II ZR 12/08, BGHZ 185, 44 Rn. 11 - ADCOCOM). Die Neufassung von § 19 Abs. 4 GmbHG durch das MoMiG hat an diesen Tatbestandsvoraussetzungen nichts geändert.
Der Schuldnerin floss im wirtschaftlichen Ergebnis infolge der Begleichung der Bereicherungsforderung des Beklagten am 5. Juni 2008 in Höhe von 100.000,- € mit der Zahlung des Beklagten vom 10. Juni 2008 in Höhe von gleichfalls 100.000,- € nicht der vereinbarte Barbetrag, sondern die Befreiung von der Bereicherungsverbindlichkeit zu. Denn es besteht ein äußerst enger sachlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen Bareinzahlung und Forderungstilgung.
In diesem Zusammenhang sei es unerheblich, dass zunächst die Schuldnerin die Bereicherungsforderung des Beklagten erfüllt und dieser danach auf die Einlageverpflichtung gezahlt hat. Entscheidend für die rechtliche Betrachtung sei allein der mit diesen Leistungen bewirkte Erfolg.
Der festgestellte enge zeitliche und sachliche Zusammenhang zwischen der Einzahlung des Einlagebetrags und dem Rückfluss des Geldes begründe die Vermutung, die (objektive) Umgehung der Sachkapitalaufbringungsregeln sei im Sinne einer Verwendungsabsprache von Anfang an in Aussicht genommen worden (BGH, Urteil vom 16. Januar 2006 - II ZR 76/04, BGHZ 166, 8 Rn. 13; Urteil vom 18. Februar 2008 - II ZR 132/06, BGHZ 175, 265 Rn. 13 - Rheinmöve; Urteil vom 22. März 2010 - II ZR 12/08, BGHZ 185, 44 Rn. 14 - ADCOCOM).
Nach § 56 Abs. 2, § 19 Abs. 4 Satz 3 GmbHG, § 3 Abs. 4 EGGmbHG in der mit Inkrafttreten des MoMiG maßgeblichen Fassung ist auf die wegen Umgehung der Sacheinlagevorschriften fortbestehende Bareinlagepflicht des Beklagten (§ 19 Abs. 4 Satz 1, 3 GmbHG) aber der Wert der Bereicherungsforderung zu dem in § 19 Abs. 4 Satz 3 GmbHG bezeichneten Zeitpunkt anzurechnen.
Die (vollständige) Erfüllung der fortbestehenden Geldeinlagepflicht des Inferenten bei verdeckter Einbringung einer Forderung kann im Falle einer Kapitalerhöhung nach Maßgabe von § 19 Abs. 4 Satz 3, Satz 5, § 56 Abs. 2 GmbHG gelingen, wenn der Inferent nachweist, dass seine Forderung gegen die Gesellschaft im Zeitpunkt der Anmeldung der Kapitalerhöhung im Wege der (verdeckten) Sacheinlage in der Befreiung der Gesellschaft von der entsprechenden Verbindlichkeit gegenüber ihrem Gesellschafter besteht (vgl. BGH, Urteil vom 18. Februar 1991 - II ZR 104/90, BGHZ 113, 335, 343 ; Urteil vom 16. Januar 2006 - II ZR 76/04, BGHZ 166, 8 Rn. 12 - Cash-Pool) - vollwertig war, d.h. ihr Wert (mindestens) den Betrag der übernommenen Geldeinlagepflicht erreicht hat. Eine gegen die Gesellschaft bestehende Forderung ist in diesem Sinne dann nicht vollwertig, wenn das Gesellschaftsvermögen bei Befriedigung der Forderung (in Höhe des Betrags der übernommenen Geldeinlagepflicht) nicht ausreichen würde, um alle (sonstigen) fälligen Forderungen der Gesellschaftsgläubiger zu erfüllen.
Liegt im maßgeblichen Zeitpunkt eine Überschuldung der Gesellschaft vor, ist es offensichtlich, dass die Forderung jedenfalls nicht vollwertig ist. Die Erfüllung eines Anspruchs kann eine Unterbilanz oder Überschuldung weder herbeiführen noch vertiefen, weil der Verminderung der Aktivseite eine entsprechende Verringerung der Verbindlichkeiten gegenübersteht, die Erfüllung also bilanzneutral ist (BGH, Beschluss vom 10. Juli 2012 - II ZR 212/10, ZIP 2012, 1857 Rn. 19).
Das Berufungsgericht hat danach rechtsfehlerhaft keine Feststellungen zum Wert der Forderung des Beklagten im Zeitpunkt der Anmeldung der Kapitalerhöhung zur Eintragung in das Handelsregister (§ 19 Abs. 4 Satz 3 GmbHG) am 16. Juni 2008 getroffen.