Auslösen einer Pflichtteilsstrafklausel durch eine Zahlung „als Ausgleich für die Pflichtteilsansprüche“

OLG Hamm, Beschluss vom 13.02.2013, I-15 W 421/12
Die nach den §§ 58 ff FamFG zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
Der Beteiligte zu 2) ist von der Erbfolge nach seinem Vater ausgeschlossen, weil er nach dem Tod seiner zuerst verstorbenen Mutter die Pflichtteilsstrafklausel nach Ziffer 4) des gemeinschaftlichen Testaments seiner Eltern vom 3.3.2010 (UR-Nr. 176/2010 des Notars L) ausgelöst hat („Sollte eines unserer Kinder nach dem Tod des Erstversterbenden den Pflichtteilsanspruch geltend machen, so erhält dieses Kind nach dem Tod des Überlebenden ebenfalls lediglich den Pflichtteilsanspruch“).


Eine Pflichtteilsstrafklausel, wie sie hier das Testament vom 3.3.2010 enthält, ist eine typische letztwillige Anordnung, durch die gemeinschaftlich testierende und sich gegenseitig als Erben und ihre Abkömmlinge als Schlusserben einsetzende Ehegatten sicherstellen wollen, dass dem Überlebenden bis zu seinem Tod der Nachlass ungeschmälert und ungestört verbleibt und dass nicht einer der Abkömmlinge bei der Verteilung des elterlichen Gesamtnachlasses bevorteilt wird (OLG München FamRZ 2011, 1691; OLG München FamRZ 2008, 721; OLG Düsseldorf FamRZ 2012, 331; OLG Düsseldorf FamRZ 2011, 1175). Besteht – wie hier – die Rechtsfolge eines Verstoßes in dem Verlust der testamentarischen Zuwendung beim zweiten Erbfall, ist die Einsetzung zum Schlusserben unter eine auflösende Bedingung (§ 2075 BGB) für den Fall des Pflichtteilsverlangens nach dem Erstversterbenden gestellt, sodass mit dem Pflichtteilsverlangen die Einsetzung als Schlusserbe entfällt (OLG München und OLG Düsseldorf jeweils aaO; Palandt/Weidlich, BGB, 71. Aufl., § 2269 Rn 15). Entsprechend der typischen Zielsetzung hatte nach den glaubhaften Angaben des Notars L der Vater der Beteiligten hier in einem Vorgespräch den Wunsch nach einem Schutz des überlebenden Ehegatten geäußert, weshalb die – standardmäßig formulierte – Verwirkungsklausel in das Testament aufgenommen wurde.

Nach dem üblichen Verständnis greift eine solche Klausel bereits dann ein, wenn der Schlusserbe in objektiver Hinsicht den Pflichtteil nach dem Erstversterbenden ausdrücklich und ernsthaft fordert und in subjektiver Hinsicht dabei bewusst – in Kenntnis der Verwirkungsklausel – handelt (Senat, Beschluss vom 29.6.2012, 15 W 310/11; Senat, Beschluss vom 28.3.2012, 15 W 178/11). Weitere subjektive Voraussetzungen, etwa ein bewusstes oder gar böswilliges Auflehnen gegen den Erblasserwillen, sind nicht erforderlich (BayObLGZ 2004, 5 = ZEV 2004, 202 [BayObLG 20.01.2004 - 1 Z BR 134/02]).
Im vorliegenden Fall bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Erblasser und seine Ehefrau – also die Eltern der Beteiligten – diese Klausel in einem von dem üblichen Verständnis abweichenden engeren Sinn verstanden haben. Die (eingeschränkte) Abänderungsklausel zugunsten des überlebenden Ehegatten in Ziffer 3) des Testaments relativiert entgegen der Ansicht des Beteiligten zu 2) die anschließende gesonderte Verwirkungsklausel unter Ziffer 4) des Testaments nicht und lässt insbesondere nicht den Schluss zu, dass die testierenden Eheleute den mit der Pflichtteilsklausel bezweckten Schutz des überlebenden Ehegatten einschränken wollten.

Der Beteiligte zu 2) hat den Tatbestand der Verwirkungsklausel erfüllt. Der Senat hält es im Ergebnis für nachgewiesen, dass die notarielle Vereinbarung vom 12.4.2011 (UR-Nr. 378/2011 des Notars L) deshalb zustande gekommen ist, weil der Beteiligte zu 2) gegenüber dem Beteiligten zu 1) als Vertreter des Erblassers nicht nur um eine Vorauszahlung auf seinen künftigen Erbteil nach dem Vater gebeten, sondern zur Bekräftigung seines Zahlungsbegehrens letztlich einen Anteil am Nachlass der vorverstorbenen Mutter verlangt hat. Da der Beteiligte zu 2) das Testament seiner Eltern kannte und somit auch wusste, dass er nicht Miterbe der Mutter war, stellte diese Forderung in der Sache das Verlangen des Pflichtteils nach der Mutter dar. Hierfür sprechen maßgeblich folgende Erwägungen:

In dem Vertrag vom 12.4.2011 heißt es ausdrücklich, dass sich der Beteiligte zu 2) einen Teilbetrag von 6.000 € „als Ausgleich für die Pflichtteilsansprüche nach der am 9.4.2010 verstorbenen Mutter N … anrechnen läßt“. Diese Formulierung ist unmissverständlich so zu verstehen, dass insoweit eine Zahlung zur Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs des Beteiligten zu 2) nach der verstorbenen Mutter erfolgen sollte. Dieses ist ein starkes Indiz dafür, dass dieser Pflichtteilsanspruch von dem Beteiligten zu 2) auch geltend gemacht worden ist, zumal die Initiative unstreitig von dem Beteiligten zu 2) ausgegangen ist, indem dieser mit einem Zahlungswunsch an den Beteiligten zu 1) herangetreten ist.
Der Vertrag vom 12.4.2011 ist sehr kurz und regelt nur die Zahlung von 10.000 € an den Beteiligten zu 2) aus dem Vermögen des Erblassers sowie die Aufteilung des Gesamtbetrags in zwei Teilbeträge von 6.000 € und 4.000 € und deren Anrechnung. Daher erscheint es fernliegend, dass der Beteiligte zu 2) die Bedeutung der oben wiedergegebenen Bestimmung zur Anrechnung der 6.000 € verkannt haben könnte. Es handelte sich hierbei nicht um eine möglicherweise überraschende Klausel in einem umfangreichen Vertragswerk.

Nach der Erinnerung des Zeugen L war in dem Beurkundungstermin am 12.4.2011 davon die Rede, dass der Erblasser eigentlich nichts mehr an den Beteiligten zu 2) zahlen. Dieses deckt sich mit den Angaben des Beteiligten zu 1) und spricht gegen die sinngemäße Behauptung des Beteiligten zu 2), dass der Beteiligte zu 1) bedenkenlos auf seine Zahlungsbitte eingegangen sei. Der Senat hat keine Zweifel daran, dass der Zeuge L wahrheitsgemäße Angaben gemacht hat. Seine Aussage war neutral, zurückhaltend und ohne irgendeine Belastungstendenz.
Die in dem Senatstermin von dem Beteiligten zu 2) aufgestellte sinngemäße Behauptung, dass ihm am 12.4.2011 bei seinem Eintreffen beim Notar ein schon vorbereiteter Vertragstext vorgelegt worden sei, ist durch die Aussage des Zeugen L widerlegt. Dieser hat glaubhaft bekundet, dass der Vertrag von ihm erst in dem kurzfristig anberaumten Beurkundungstermin am PC durch eine Abänderung der früheren Urkunde vom 11.6.2010 entwickelt worden ist, und zwar in Anwesenheit aller drei Geschwister und somit auch in Anwesenheit des Beteiligten zu 2). Dieses spricht auch gegen die Darstellung des Beteiligten zu 2), unwissend von dem Beteiligten zu 1) „in eine Falle gelockt“ worden zu sein.

Der Beteiligte zu 2) hat keinen plausiblen Grund dafür angeben können, warum der von ihm gewünschte Gesamtbetrag von 10.000 € in zwei Teilbeträge von 6.000 € und 4.000 € aufgeteilt worden ist und warum der Teilbetrag von 6.000 € ausdrücklich „als Ausgleich für die Pflichtteilsansprüche nach der am 9.4.2010 verstorbenen Mutter N“ angerechnet werden sollte. Dies kann nicht nachvollziehbar damit erklärt werden, dass dem Beteiligten zu 2) – wie es in der Beschwerdebegründung heißt – die Aufsplittung des Gesamtbetrags „einerlei“ gewesen sei.

Außerdem ist zu berücksichtigen, dass der Beteiligte zu 2) in dem gesamten Verfahren nicht konstant, sondern wechselhaft und auch in sich widersprüchlich vorgetragen hat. So hat der Beteiligte zu 2) in der I. Instanz behauptet, dass ihm im Notartermin vom 12.4.11 eine bereits von dem Notar L vorbereitete Urkunde vorgelegt worden sei. In der Urkunde sei vermerkt gewesen, dass er – der Beteiligte zu 2) – durch die Zahlung zu dieser Zeit seinen Pflichtteil verlangen würde und dass er – der Beteiligte zu 2) – später auch nur den Pflichtteil erhalten sollte, wobei er sich an den genauen Inhalt nicht mehr erinnern könne. Diese Urkunde habe er so nicht unterschrieben. Er habe vielmehr nach Diskussionen mit den anderen Beteiligten darauf hingewiesen, dass er gerade nicht den Pflichtteil verlangen wollte im Sinne einer Geltendmachung gegen den Willen des Vaters, sondern dass er nur einen freiwillig gezahlten Vorschuss auf sein späteres Erbe wollte, wobei die Zahlung von 10.000 € allerdings in voller Höhe angerechnet werden sollte. Nach dieser Klarstellung habe der Notar in der vorbereiteten Urkunde entsprechende Streichungen und Änderungen vorgenommen (Anwaltsschriftsatz vom 18.8.2012). Im amtsgerichtlichen Termin vom 24.9.2012 hat der Beteiligte zu 2) außerdem persönlich u.a. erklärt, es sei immer Tenor zwischen ihm und seinen Geschwistern gewesen, dass er mit der Annahme des Geldes nicht die Verwirkungsklausel auslösen möchte. Dies hätten sie auch so im Beisein von Notar L noch einmal besprochen. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass die von dem Notar in Kopie vorgelegte Originalurkunde vom 12.4.2011 die angeblichen Textpassagen und Streichungen nicht aufweist, und unter dem Eindruck der erstinstanzlichen Aussage des Zeugen L hat der Beteiligte zu 2) diese Behauptungen in der Beschwerdebegründung nicht mehr aufrechterhalten, sondern nunmehr vorgetragen, im Beurkundungstermin sei nichts im Hinblick auf die Pflichtteilsstrafklausel besprochen worden. Dabei hat er noch sinngemäß eingeräumt, dass der Vertragstext im Beurkundungstermin von dem Notar am PC durch eine Abänderung der früheren Urkunde vom 11.6.2010 im Beisein der Beteiligten entwickelt worden und zumindest kurz über die Aufsplittung der Summe von 10.000 € verhandelt worden sei. Im Widerspruch hierzu hat er sodann im Senatstermin sinngemäß behauptet, dass ihm am 12.4.2011 bei seinem Eintreffen beim Notar ein schon vorbereiteter Vertragstext vorgelegt worden sei, was – wie oben dargelegt – durch die Aussage des Zeugen L widerlegt ist.
Bewertung einer Zahlung, die „als Ausgleich für die Pflichtteilsansprüche“ erfolgt - ZErb 2013 Ausgabe 7 - 183 <<

Der Umstand, dass die Geltendmachung des Pflichtteils nach dem Erstverstorbenen gegenüber dem überlebenden Ehegatten schließlich in einer vertraglichen Regelung mündet, schließt das Eingreifen der Pflichtteilsstrafklausel nicht aus (vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 2011, 1175).
Ob der Erblasser persönlich den Vertrag vom 12.4.2011 kannte und von der Auszahlung der weiteren 10.000 € an den Beteiligten zu 2) wusste, ist unerheblich. Es genügt für das Auslösen der Verwirkungsklausel, wenn der Pflichtteil gegenüber einem Vertreter des Erblassers – wie hier gegenüber dem Beteiligten zu 1) als dem Bevollmächtigten des Erblassers – geltend gemacht wird. Der Zweck der Pflichtteilsklausel erschöpft sich nicht darin, dem überlebenden Ehegatten persönliche Belastungen zu ersparen. Sie soll – wie bereits dargelegt – auch sicherstellen, dass dem überlebenden Ehegatten bis zu seinem Tod der Nachlass ungeschmälert verbleibt und dass nicht einer der Abkömmlinge bei der Verteilung des elterlichen Gesamtnachlasses bevorteilt wird. Dafür macht es keinen Unterschied, ob der Pflichtteilsanspruch gegenüber dem Erblasser persönlich oder gegenüber dessen Vertreter geltend gemacht wird. Die Pflichtteilsklausel schützt somit auch einen überlebenden Elternteil, der betreuungsbedürftig geworden ist und sich in Vermögensangelegenheiten vertreten lassen muss.

Der Beteiligte zu 2) hat auch den subjektiven Tatbestand der Verwirkungsklausel erfüllt. Er kannte unstreitig das Testament vom 3.3.2010 mit der darin enthaltenen Pflichtteilsstrafklausel. Indem er gleichwohl den Pflichtteil nach der Mutter verlangt hat, hat er somit bewusst gegen diese Bestimmung seiner Eltern verstoßen, auch wenn er gehofft haben mag, der Sanktionswirkung entgehen zu können. Dementsprechend kommt es auch nicht darauf an, ob der Notar im Beurkundungstermin vom 12.4.2011 eine ausdrückliche Belehrung über die Relevanz der – dem Beteiligten zu 2) bereits bekannten – Pflichtteilsklausel unterlassen hat.

Der Einwand des Beteiligten zu 2), dass im Falle seines Ausscheidens als Miterbe seine Kinder als Ersatzerben an seine Stelle treten würden, sodass der Beteiligte zu 1) auch aus diesem Grund nicht Alleinerbe des Erblassers sein könne, ist im vorliegenden Beschwerdeverfahren unerheblich. Denn die sachliche Prüfung des Beschwerdegerichts wird durch den Umfang der Rechtsbeeinträchtigung des Beschwerdeführers – hier des Beteiligten zu 2) – begrenzt, d. h., das Beschwerdegericht hat nur zu prüfen, ob die angefochtene Entscheidung die Rechte des Beschwerdeführers beeinträchtigt, und bei Verneinung dieser Frage die Prüfung nicht darauf zu erstrecken, ob die Entscheidung etwa in anderer, den Beschwerdeführer nicht berührender Richtung zu beanstanden sein könnte (Senat FamRZ 2000, 487; OLG Brandenburg FamRZ 1999, 1619; KG FamRZ 1996, 569; NJW-RR 1991, 860). Der Beteiligte zu 2), der auf keinen Fall (Mit-)Erbe geworden ist, wäre aber nicht deshalb beschwert, wenn der freigewordene Erbteil nicht dem Beteiligten zu 1), sondern den Kindern des Beteiligten zu 2) angefallen wäre. Abgesehen davon, wirkt sich der Verstoß eines Schlusserben gegen die Pflichtteilsstrafklausel regelmäßig auch auf seine Abkömmlinge aus (BayObLG FamRZ 1996, 440, 441; Senat, Beschluss vom 29.06.2012, 15 W 310/11; Palandt/Weidlich, BGB, 71. Aufl., § 2269 Rn 15).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 84 FamFG.
Die Geschäftswertfestsetzung beruht auf den §§ 131 Abs. 4, 30 Abs. 1 KostO. Dabei hat der Senat den Wert des Nachlasses auf 200.000 € geschätzt und das Interesse des Beteiligten zu 2) als Beschwerdeführer aufgrund der Differenz zwischen dem Wert des von ihm beanspruchten 1/2-Erbanteils und des ihm zumindest zustehenden Pflichtteils (1/6 des Nachlasswerts) bemessen.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 70 Abs. 2 FamFG) liegen nicht vor, da die Zurückweisung der Beschwerde auf einer einzelfallbezogenen Tatsachenwürdigung beruht.