Wiedereinsetzung in eine versäumte Wiedereinsetzungsfrist

I. Die Parteien streiten um Abänderung eines gerichtlichen Vergleichs über Kindesunterhalt. Das Urteil des Amtsgerichts, durch das der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen wurde, ist dem Beklagten am 13. Oktober 2008 zugestellt worden.

Mit einem am 12. November 2008 einge-gangenen Schriftsatz hat er Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Berufung beantragt. Mit Be-schluss vom 12. Juni 2009 hat das Berufungsgericht dem Beklagten teilweise Prozesskostenhilfe bewilligt und den Antrag im Übrigen zurückgewiesen. Der Beschluss ist dem Beklagten am 29. Juni 2009 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 13. Juli 2009, beim Berufungsgericht eingegangen am 14. Juli 2009, hat der Beklagte im Umfang der bewilligten Prozesskostenhilfe Berufung eingelegt, zur Begründung auf den Prozesskostenhilfebeschluss sowie auf den dem Prozesskostenhilfeantrag beigefügten Entwurf einer Berufung und Berufungsbegründung seines Rechtsanwalts Bezug genommen und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungs- und der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Mit Beschluss vom 11. September 2009 hat das Oberlandesgericht den Wiedereinsetzungsantrag verworfen, weil dieser nicht innerhalb der zweiwöchigen Wiedereinsetzungsfrist eingegangen sei. Zugleich hat es den Beklagten darauf hingewiesen, dass es beabsichtige, die Berufung ebenfalls zu verwerfen, da die Berufungsfrist nicht gewahrt sei. Der Beschluss ist dem Beklagten am 21. September 2009 zugestellt worden.

Am 28. September 2009 hat der Beklagte beantragt, ihm Wiedereinsetzung in die versäumte Wie-dereinsetzungsfrist zu bewilligen. Zur Begründung hat er vorgetragen, die Fristversäumnis beruhe auf einem ihm nicht zurechenbaren Versäumnis des Büroboten, den sein Rechtsanwalt damit beauftragt habe, den Schriftsatz vom 13. Juli 2009 noch am gleichen Tag in den Briefkasten des Oberlandesgerichts einzuwerfen. Der Sachvortrag ist durch eidesstattliche Versicherung des Büroboten glaubhaft gemacht worden.

Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Wiedereinsetzungs-frist zurückgewiesen und die Berufung verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten.

BGH, Beschluss vom 28.11.2012, XII ZB 235/09
Der Beschluss
II. Für das Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG-RG noch das bis Ende August 2009 geltende Prozessrecht anwendbar, weil der Rechtsstreit vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 3. November 2012 XII ZB 197/10).

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entschei-dung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Das Berufungsgericht hat die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach den §§ 233 ff. ZPO verkannt; der angefochtene Beschluss verletzt den Beklagten damit in seinen Verfahrensgrundrechten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung des Verfahrens an das Oberlandesgericht.

a) Das Oberlandesgericht hat das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen, weil die Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag vom 13. Juli 2009 in Rechtskraft erwachsen sei und deshalb nicht mehr abgeändert werden könne. Wenn - wie hier - der Wiedereinsetzungsantrag einer Partei durch gesonderten Beschluss zurückgewiesen werde, müsse diese Entscheidung angefochten werden, da sie anderenfalls Bindungswirkung entfalte. Infolge der rechtskräftigen Ablehnung einer Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist sei die Berufung verfristet und deshalb zu verwerfen.

b) Diese Ausführungen halten den Angriffen der Rechtsbeschwerde nicht stand.
aa) Zutreffend ist das Oberlandesgericht allerdings davon ausgegangen, dass der Beklagte die Beru-fungsfrist versäumt hat. Das Urteil des Amtsgerichts ist ihm am 13. Oktober 2008 zugestellt worden; seine Berufung ist erst am 14. Juli 2009 beim Oberlandesgericht eingegangen.

Ebenfalls zu Recht hat das Oberlandesgericht darauf abgestellt, dass auch der Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist nicht innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 234 Abs. 1 ZPO eingegangen ist. Ist eine Partei wegen Mittellosigkeit gehindert, die Berufungsfrist einzuhalten, entfällt das Hindernis für die Einlegung des Rechtsmittels grundsätzlich mit der Bekanntgabe des Beschlusses über die Bewilligung der Prozesskostenhilfe, so dass der Lauf der Zwei-Wochen-Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu diesem Zeitpunkt beginnt (st. Rspr. vgl. etwa BGHZ 173, 14). Nachdem der Prozesskostenhilfebeschluss dem Beklagten am 29. Juni 2009 zugestellt worden war, hätte er Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist bis zum 13. Juli 2009 beantragen müssen. Der erst am 14. Juli 2009 eingegangene Antrag hat diese Frist nicht gewahrt.

bb) Zu Unrecht hat das Oberlandesgericht dem Beklagten allerdings die nach § 233 ZPO begehrte Wiedereinsetzung in die versäumte Wiedereinsetzungsfrist versagt. Die vom Beklagten nicht ange-fochtene Versagung der Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist steht einer Wiedereinsetzung in die ebenfalls versäumte Wiedereinsetzungsfrist nicht entgegen.

(1) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist zwar geklärt, dass die rechtskräftige Ablehnung einer begehrten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand der darauf aufbauenden Entscheidung über die Verwerfung des Rechtsmittels zugrunde zu legen ist. Hat die betroffene Prozesspartei die isolierte Abweisung ihres Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht angefochten und ist diese Entscheidung rechtskräftig geworden, bindet sie das Gericht im Rahmen der anschließenden Entscheidung über die Verwerfung des Rechtsmittels (Senatsbeschluss vom 7. Oktober 1981 - IVb ZB 825/81; BGH Beschlüsse vom 16. April 2002 - VI ZB 23/00 und vom 3. November 1988 - LwZB 1/88 - BGHR ZPO § 519 b Abs. 2 Wiedereinsetzungsgrund 1). Diese Rechtsprechung lässt sich auf den vorliegenden Fall allerdings nicht übertragen.

(2) Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass im umgekehrten Fall die rechtskräftige Verwerfung der Berufung wegen Fristversäumung einer vorrangig zu beurteilenden Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungs- oder der Berufungsbegründungsfrist nicht entgegensteht. Denn durch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird dem die Berufung verwerfenden Beschluss die Grundlage entzogen und er damit gegenstandslos (Senatsbeschlüsse vom 9. Februar 2005 XII ZB 225/04; vom 15. August 2007 XII ZB 101/07 und vom 24. Februar 2010 XII ZB 168/08). Eine rechtzeitig beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann danach nicht mit der Begründung abgelehnt werden, über die darauf basierende Entscheidung sei bereits entschieden. Vielmehr ist das Gericht gehalten, vor einer Verwerfung des Rechtsmittels auf die versäumte Frist hinzuweisen, um der Prozesspartei Gelegenheit zu geben, eine schuldlose Fristversäumung glaubhaft zu machen.

Diese Rechtsprechung ist auf den hier vorliegenden Fall übertragbar. Der Beklagte hatte beantragt, ihm Wiedereinsetzung in die versäumte Wiedereinsetzungsfrist zur Einlegung und Begründung der Berufung zu bewilligen. Die vom Oberlandesgericht ohne vorherige Anhörung beschiedene und vom Beklagten nicht mit der Rechtsbeschwerde angefochtene Entscheidung über die Zurückweisung der begehrten Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist setzt eine vorherige Entscheidung über die beantragte Wiedereinsetzung in die versäumte Wiedereinsetzungsfrist voraus. Wenn dem Beklagten wegen schuldloser Fristversäumung Wiedereinsetzung in die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO bewilligt wird, entzieht dies der ablehnenden Entscheidung über die Wiedereinsetzung in die Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist die Grundlage.

c) Die Entscheidung des Oberlandesgerichts, dem Beklagten die beantragte Wiedereinsetzung in die versäumte Wiedereinsetzungsfrist zu versagen, hat auch nicht aus anderen Gründen Bestand.

aa) Allerdings kommt, wenn die Fristversäumung auf einem wirtschaftlichen Unvermögen des Rechtsmittelführers beruht, nach der Entscheidung über die beantragte Prozesskostenhilfe eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur in Betracht, wenn die Mittellosigkeit für die Fristversäu-mung kausal geworden ist (st. Rspr. vgl. etwa Senatsbeschluss vom 8. Februar 2012 XII ZB 462/11). Das war hier der Fall.

bb) Die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist beruhte hier allerdings nach dem Vortrag des Be-klagten auf einem ihm nicht zurechenbaren Verschulden des Kanzleiboten seines Prozessbevollmächtigten. Bei weisungsgemäßer Ablieferung des Schriftsatzes an das Oberlandesgericht wäre die Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO gewahrt worden.

Die Versäumung der Berufungs- und der Berufungsbegründungsfrist beruhte demgegenüber auf dem wirtschaftlichen Unvermögen des Beklagten. Für diese Fristversäumung ist die Mittellosigkeit auch kausal geworden. Zwar hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass in Fällen, in denen ein Rechtsmittel bereits durch einen beim Rechtsmittelgericht zugelassenen Rechtsanwalt eingelegt, die fristgerecht eingereichte und unterschriebene Rechtsmittelbegründung zunächst aber nur als Entwurf bezeichnet wurde, eine spätere Fristversäumung nicht auf der Mittellosigkeit beruht, weil der Prozessbevollmächtigte seine Leistung dann schon in vollem Umfang erbracht hat (BGH Beschluss vom 6. Mai 2008 - VI ZB 16/07). Ob dem zu folgen ist, kann hier dahinstehen. Denn wenn der Antragsteller sein Rechtsmittel - wie hier - bewusst noch nicht eingelegt, sondern von der Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe abhängig gemacht hat, ist die Mittellosigkeit schon für die Versäumung der Rechtsmittelfrist kausal geworden. Die Prozesspartei war dann auf Grund ihrer Mittellosigkeit bereits an der Einlegung des Rechtsmittels gehindert. Wird die Prozesskostenhilfe nicht bewilligt, kommt es erst gar nicht zum Berufungsverfahren.

d) Das Berufungsgericht wird deswegen zunächst gemäß § 233 ZPO über den Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in die versäumte Wiedereinsetzungsfrist zu entscheiden haben. Insoweit hat der Beklagte vorgetragen, seinen langjährigen Kanzleiboten am letzten Tag der Frist im Rahmen einer konkreten Einzelanweisung beauftragt zu haben, die Berufung und Berufungsbegründung nebst Wiedereinsetzungsantrag noch am gleichen Tag beim Oberlandesgericht einzuwerfen. Dies hat der Kanzleibote an Eides statt versichert (§ 236 Abs. 2 ZPO). Wenn dem Beklagten wegen unverschuldeter Fristversäumung Wiedereinsetzung in die versäumte Wiedereinsetzungsfrist bewilligt wird, ist dem angefochtenen Beschluss auch hinsichtlich der Verwerfung der Berufung die Grundlage entzogen. Das Berufungsgericht wird dann erneut über den Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist und, bei Bewilligung der Wiedereinsetzung, über die Berufung selbst zu entscheiden haben.