Verwirkung des Widerrufsrechts bei Verbraucherdarlehen

OLG Frankfurt/Main, Beschluss vom 10.03.2014, 17 W 11/14
Gründe:
I. Der Antragsteller beabsichtigt die Erhebung einer Klage, mit der er die Antragsgegnerin auf die Rückzahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung in Höhe von 22.414,73 € in Anspruch nehmen will.

Grundlage dafür ist ein von der am ….06.2011 verstorbenen Mutter gemäß dem Finanzierungsvertrag vom 29.07.2007 (Anlage K 1 - Blatt 7 d. A.) unter der Bezeichnung „Darlehensvertrag A-Finanzierung“ zustande gekommener Kreditvertrag, mit dem die zwischen der Antragsgegnerin und der Erblasserin als Kreditnehmerin ein Vertrag über Vorausdarlehen in Höhe eines ausgezahlten Nettodarlehensbetrages von 86.400,- € geschlossen hatte. Die Tilgung sollte über zwei gleichzeitig abgeschlossene Bausparverträge erfolgen. Das der Erblasserin gewährte Darlehen wurde mit einer Grundschuld in Höhe von 90.000 € zu Lasten des Grundstücks B-Straße …, in Stadt1 gesichert, wobei die Darlehensnehmerin zusätzlich alle Rechte aus dem Bausparvertrag, insbesondere das Sparguthaben einschließlich Zinsen und Bausparverträge an die Antragsgegnerin verpfändete.

Der Darlehensvertrag enthielt auf einem gesonderten Blatt (Blatt 9 d. A.) eine von der Erblasserin als Darlehensnehmerin unter dem 29.10.2007 unterzeichnete „Belehrung über das Widerrufsrecht nach § 594 i. V. m. § 355 BGB, Widerruf von Verbraucherdarlehen“, welche u. a. folgenden Inhalt hat:

Der Darlehensnehmer ist berechtigt, seine auf den Abschluss des oben bezeichneten Vertrags gerichtete Willenserklärung binnen einer Frist von zwei Wochen, gerechnet ab Eingang des unterschriebenen Darlehensvertrages bei der X Bausparkasse, frühestens mit Aushändigung dieser Widerrufsbelehrung, ohne Angabe von Gründen in Textform (z. B. Brief, Fax, E-Mail) zu widerrufen. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung der Widerrufserklärung.

Ein etwaiger Widerruf ist zu richten an die X Bauspar AG, Stadt2.

….

Im Zusammenhang mit der von dem Antragssteller nach dem Tod der Erblasserin beabsichtigten Veräußerung des mit der zur Sicherung des Darlehens eingetragenen Grundschuld belasteten Grundstücks trat der Antragsteller an die Antragsgegnerin heran, um zur Ablösung des durch die Grundschuld gesicherten Darlehens den Gesamtablösebetrag zu ermitteln, welchen die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 24.07.2012 einschließlich eines darin enthaltenen Vorfälligkeitsentgeltes in Höhe von 22.414,73 € mit insgesamt 114.452,04 € angab. Nach der Ablösung dieses bei der Antragsgegnerin am 21.08.2012 eingehenden Betrages erklärte der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin mit Schreiben vom 07.09.2012 (Anlage K 3 - Blatt 15 d. A.) für den Antragsteller den Widerruf des Darlehensvertrages unter Hinweis auf eine zuvor nicht ordnungsgemäße erteilte Widerrufsbelehrung.

Das Landgericht hat durch den angefochtenen Beschluss vom 13.12.2013 den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe mit der Begründung zurückgewiesen, der Antragsteller habe zumindest aus grober Nachlässigkeit falsche Angaben zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen gemacht, indem dieser auf der Grundlage der von ihm mitgeteilten Verbindlichkeiten über nicht angegebene Einnahmen und Vermögenswerte verfügen müsse, um überhaupt den Lebensunterhalt bestreiten zu können.

Gegen diese der Prozessbevollmächtigten des Antragstellers am 20.12.2013 zugestellte Entscheidung hat der Antragsteller mit dem am 20. Januar 2012 bei Gericht eingegangen Schriftsatz Beschwerde eingelegt und zu deren Begründung darauf hingewiesen, die angeführten Verbindlichkeiten tatsächlich nicht bedienen zu können, weshalb er auch im Hinblick auf Mahnungen und Vollstreckungsankündigungen der Gläubiger inzwischen auch bereits die Schuldnerberatung aufgesucht habe.

Das Landgericht hat der Beschwerde des Antragstellers durch Beschluss vom 25.02.2014 nicht abgeholfen. Zur Begründung hat es darauf abgestellt, trotz der die Gewährung von Prozesskostenhilfe rechtfertigenden persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers, komme die Bewilligung von Prozesskostenhilfe jedenfalls deshalb nicht in Betracht, weil die beabsichtigte Prozessführung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete.

Während der Anspruch auf Zahlung der Vorfälligkeitsentschädigung gemäß § 490 Abs. 2 Satz 3 BGB a. F. dem Grunde nach gerechtfertigt sei, sei durch die vorzeitige Beendigung des Darlehensvertrages zum 31.07.2012 das Darlehen vor Fälligkeit ausgeglichen worden. Das anschließende Herantreten des Antragstellers an die Antragsgegnerin habe nicht als wirksamer Widerruf des Darlehens sondern allenfalls als Kündigung bzw. als Angebot zur Vertragsaufhebung verstanden werden können. Im Übrigen sei für die Ausübung eines Widerrufsrechts kein Raum mehr verblieben, da der Darlehensvertrag auf andere Weise zum Wegfall gekommen sei. Darüber hinaus habe der Antragsteller das Recht zum Widerruf bereits verwirkt, nachdem der Antragsteller den Widerruf erst mehr als ein Jahr nach dem Tod der Erblasserin erklärt habe und sich widerspruchslos in die Abwicklung des Darlehensvertrages begeben habe.

II. Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete sofortige Beschwerde führt in der Sache selbst nicht zum Erfolg. Das Landgericht hat mit der Nichtabhilfeentscheidung vom 25. Februar 2014 der sofortigen Beschwerde zu Recht nicht abgeholfen, indem es statt der tatsächlich nicht tragenden Gründe der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf die mangelnde Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung abgestellt hat.

Grundsätzlich stand dem Antragsteller im vorliegenden Fall ein Widerrufsrecht gemäß § 495 Abs. 1, 355 BGB a. F. zu, da es sich um ein Verbraucherdarlehen gehandelt hat, bei dem die Erblasserin über ein ihr zustehendes Widerrufsrecht zu belehren gewesen wäre. Das zunächst der Erblasserin zustehende und dann noch auf den Antragsteller übergegangene Widerrufsrecht ist auch nicht durch Fristablauf erloschen, weil die Widerrufsfrist mangels ordnungsgemäßer Belehrung entsprechend § 355 Abs. 3 BGB nicht wirksam in Gang gesetzt worden ist. Soweit die für die Widerrufserklärung vorhandene Frist von 2 Wochen „gerechnet ab Eingang des unterschriebenen Darlehensvertrages bei der X Bausparkasse“ auszuüben gewesen wäre, entsprach die Widerrufsbelehrung nicht den Anforderungen des § 355 Abs. 2 BGB, indem die Belehrung mit der Verwendung des Wortes „frühestens“ unzureichend war. Der mit dem Widerrufsrecht bezweckte Schutz des Verbrauchers erfordert eine umfassende, unmissverständliche und für den Verbraucher eindeutige Regelung, weshalb bei einer unzureichenden Belehrung die Widerrufsfrist überhaupt nicht erst zu laufen beginnt (OLG Köln, Urteil vom 25.01.2011 - I - 13 U 30/11, zitiert nach Juris, Rn. 20 f). Einem Fristablauf steht demnach die inzwischen in § 355 Abs. 4 Satz 3 BGB normierte Regelung entgegen, welche dem Verbraucher im Falle einer nicht ordnungsgemäßen Belehrung grundsätzlich ein unbefristetes Widerrufsrecht einräumt.

Grundsätzlich ist die Erklärung des Widerrufs und dessen Berücksichtigung nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Antragsteller zuvor mit einem entweder als Kündigung des Darlehensvertrages gemäß § 490 Abs. 2 BGB a. F. oder als Angebot zur Vertragsaufhebung zu verstehenden Schreiben vom 24.07.2012 an die Antragsgegnerin mit dem Ziel der Auflösung des Kreditvertrages herangetreten ist. Abgesehen davon, dass dem Schreiben des Antragstellers jedenfalls ohne ergänzende Erklärung nicht die Bedeutung einer außerordentlichen Kündigung beigemessen werden kann, steht die Kündigung eines Vertrages einem späteren Widerruf jedenfalls dann nicht generell entgegen, wenn der Darlehensnehmer sein Wahlrecht zwischen Kündigung und Widerruf bereits mangels ausreichender Belehrung über sein Widerrufsrecht nicht sachgerecht ausüben konnte (BGH, Urteil vom 16.10.2013 - IV ZR 52/12, zitiert nach Juris, Rn. 24).

Es kann dahingestellt bleiben, ob im Einklang mit der Ansicht des Landgerichts für die Ausübung des Widerrufsrechts generell kein Raum mehr verbleibt, wenn der Darlehensvertrag zuvor bereits auf andere Weise in Wegfall gekommen ist. Jedenfalls schließt die vorherige Kündigung des Darlehensvertrages oder eine näher liegende wirksame einvernehmliche vorzeitige Beendigung des Darlehensvertrages das bestehende Widerrufsrecht nicht automatisch aus (BGH, Urteil vom 16.10.2013 - IV ZR 52/12, zitiert nach Juris, Rn. 24 m. w. N.).

Allerdings teilt der Senat die Auffassung des Landgerichts, dass der Ausübung des grundsätzlich unbefristeten Widerrufsrechts des Antraggegners erst im September 2012 der aus den Grundsätzen von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB abgeleitete Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegensteht. Der insoweit im vorliegenden Fall beim Landgericht zu Recht angenommene Gesichtspunkt der Verwirkung setzt voraus, dass der Berechtigte ein Recht längerer Zeit nicht geltend gemacht hat, obwohl er dazu in der Lage gewesen wäre und der Gegner sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dass dieser sein Recht auch in Zukunft nicht mehr geltend machen werde, sodass die verspätete Geltendmachung gegen den Grundsatz von Treu und Glaube verstößt (OLG Köln, Urteil vom 25.01.2012 - I - 13 U 30/13, zitiert nach Juris, Rn. 22; BGH, Urteil vom 18.10.2004, II ZR 352/02, zitiert nach Juris, Rn. 23 m. w. N.).

Dabei wird nicht verkannt, dass regelmäßig eine Verwirkung vor Ablauf der Verjährungsfrist nur aus besonderen Gründen angenommen werden kann, anderseits jedoch bei einer langen Verjährungsfrist oder bei an sich unbefristet möglicher Rechtsausübung wie im Fall des Widerrufs maßgeblich auf die Art und Bedeutung des Anspruchs, die Intensität des von dem Berechtigten geschaffenen Vertrauenstatbestandes und das Ausmaß der Schutzbedürftigkeit des Verpflichteten abgestellt werden muss. Ob im konkreten Fall bereits die einvernehmliche Rückabwicklung eines seit Jahren laufenden Darlehensvertrages für sich genommen genügend Anlass für ein schutzwürdiges Vertrauen der Antragsgegnerin bot, kann unter dem Gesichtspunkt dahingestellt bleiben, dass die Antragsgegnerin im Hinblick auf die dem Antragsteller - wenn auch mangelhaft - erteile Widerrufsbelehrung nicht mehr damit zu rechnen brauchte, die Erblasserin oder der Antragsteller würden davon in Zukunft Gebrauch machen. War der Inhalt der Widerrufsbelehrung grundsätzlich geeignet, einen durchschnittlichen Verbraucher über das Bestehen eines befristeten Widerrufsrechts aufzuklären, darf die Antragsgegnerin auf den dauernden Bestand des Darlehensvertrages vertrauen.

Für die Frage eines schutzwürdigenden Vertrauens der Antragsgegnerin ist es ohne Bedeutung, ob die Erblasserin die Fehlerhaftigkeit der Widerrufsbelehrung und das daraus folgende - grundsätzliche - Fortbestehen des Widerrufsrechts bis zur vollständigen Erfüllung der Vertragspflichten bekannt war. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang der Umstand, dass die Erblasserin eine Widerrufsbelehrung erhalten hatte, welche zwar nicht ordnungsgemäß war, jedoch einen durchschnittlichen Verbraucher über das Bestehen eines befristeten Widerrufsrechts als solches nicht im Unklaren lassen konnte. Auch wenn der Antragsteller wegen des unklaren Fristbeginns „gerechnet ab Eingang des unterschriebenen Darlehensvertrages bei der X Bausparkasse“ nicht genügend präzise hinsichtlich des Fristbeginns belehrt wurde, konnten weder die Erblasserin noch der Antragsteller über die befristete Befugnis zum Widerruf der Vertragserklärungen im Unklaren geblieben sein.

Gerade nach der einvernehmlichen Rückabwicklung des im Streit stehenden Darlehensvertrages bleibt unter diesem Gesichtspunkt für die Ausübung des Widerrufsrechts nach den Grundsätzen von Treu und Glauben kein Raum mehr (OLG Köln, a. a. O., Rn. 26 f m. w. N.).

Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 127 Abs. 4 ZPO.

Anmerkung:

Die Entscheidung des OLG Frankfurt ist in seiner Argumentation im Hinblick auf die zitierte Entscheidung BGH IV ZR 52/12 nicht geradlinig, sondern kommt erst nach einem `juristischen Schlenker` ans Ziel. Das OLG meint, dass ein Widerruf nach Kündigung jedenfalls dann nicht ausgeschlossen sei, wenn die Widerrufsbelehrung nicht ordnungsgemäß gewesen sei. Denn durch die fehlerhafte Widerrufsbelehrung habe der Darlehensnehmer sein Wahlrecht zwischen Kündigung und Widerruf nicht sachgerecht ausüben können. Dabei beruft es sich auf die vorbezeichnete Entscheidung des BGH.

Der BGH hat aber bezüglich unzureichender (Widerrufs)belehrungen mit Datum vom 16.10.2013 ausgeführt, dass „das Widerrufsrecht nach beiderseits vollständiger Erbringung der Leistung erlischt. Der diesen Erlöschenstatbeständen zugrunde liegende Rechtsgedanke lässt sich auf das Widerrufsrecht nach § 8 Abs. 4 VVG a.F. übertragen. Mit dem Erlöschen des Widerrufsrechts nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung wollte der Gesetzgeber Rechtssicherheit schaffen …; ein insgesamt abgeschlossener Sachverhalt sollte nicht rückwirkend wieder aufgegriffen werden. Die Regelungen beruhen auf der Überlegung, dass für einen Widerruf deshalb kein Anlass mehr besteht, weil das Schuldverhältnis durch einen „lückenlosen“ Leistungsaustausch zwischen den Parteien abgewickelt worden ist.

Die zitierte Entscheidung des BGH deckt also die Rechtsauffassung des OLG nicht. Im Sinne der erstrebten Rechtsklarheit zwischen den Parteien eines Darlehensvertrages sollte nach vollständiger Abwicklung des Darlehensvertrages eine Beendigung desselben durch Widerruf nicht mehr möglich sein. Das muss zumindest für eine einvernehmliche Beendigung gelten. Der BGH kommt sogar für jeden Fall der vollständigen Erbringung der Leistungen zu diesem Ergebnis.

Das OLG versucht dann über die Verwirkung zum dem Ergebnis zu kommen, das sich bei konsequenter Anwendung der vom BGH aufgestellten Grundsätze ergeben würde. Allerdings geht der BGH bei beiderseits vollständiger Leistungserbringung von einem Erlöschen des Widerrufsrechts aus; das OLG argumentiert mit einer Wertungen zugänglichen vermeintlichen Verwirkung. Die Linie des OLG führt zu deutlich größerer Rechtsunsicherheit als die Umsetzung der zitierten Rechtsprechung des BGHs.