Blind unterschriebenes Beratungsprotokoll allein ist kein Beweis für grob fahrlässige Unkenntnis des Anlegers

(Beitrag zum Urteil des BGH v. 20.07.2017, III ZR 296/15)
Gerade in Anlegerprozessen können Beweisschwierigkeiten entstehen, weil bei den Beratungsgesprächen nur Anleger und Finanzberater zugegen waren. Wenn dann auch noch ein Beratungsprotokoll “blind“ unterzeichnet worden ist, droht die Niederlage im Haftungsprozess.

Der Bundesgerichtshof war mit einem Fall befasst, in dem ein Finanzberater seinen Schwiegereltern zu der Beteiligung an zwei Fondsgesellschaften riet, die auf die Realisierung kurzfristiger Kursgewinne abzielten. Der Finanzberater behauptete einen jederzeitigen Zugriff auf das einzuzahlende Kapital. Sein Schwiegervater trägt später vor, dass man über das Risiko eines Totalverlusts nicht aufgeklärt worden sei. Jedenfalls lösten die Schwiegereltern ihre bisherigen Vermögensanlagen auf und investierten in die Fondsgesellschaften. Ein Prospekt wurde ihnen erst im Zeichnungstermin vorgelegt, ein Beratungsprotokoll unterzeichneten sie, ohne es gelesen zu haben. In der Folgezeit erlitten die Schwiegereltern hohe Verluste und verlangen nun den Ersatz des Zeichnungsschadens.

Der Bundesgerichtshof hat das Vorliegen eines Schadenersatzanspruchs der Schwiegereltern wegen Schlechterfüllung des Anlageberatungs- bzw. Anlagevermittlungsvertrags (§ 280 Abs.1 BGB) und der Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens (§ 311 Abs.3 BGB) geprüft. Voraussetzung dafür ist eine unrichtige oder unvollständige Beratung durch den Finanzberater. Generell hat der Anleger Aufklärungs- und Beratungsmängel darzulegen und zu beweisen. Da dies in der Regel schwierig ist, hat der Finanzberater darzulegen, wie er im Einzelnen beraten und aufgeklärt haben will (sog. sekundäre Darlegungslast). Der Anleger muss dann bewiesen, dass diese Darstellung nicht zutrifft.

Der Kläger beantragte im Prozess die Vernehmung des Anlageberaters als Prozesspartei als auch seine eigene Vernehmung als Prozesspartei. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs ist von Amts wegen die beweispflichtige Partei oder/und der Gegner zu vernehmen, wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der Behauptungen der Partei besteht (sog. Anbeweis). Zwar handelt es sich um eine Ermessensentscheidung des Tatrichters; der Bundesgerichtshof meint jedoch, vorliegend sei der klagende Schwiegervater als beweisbelastete Partei zu vernehmen gewesen. Denn seine Behauptungen in der erstinstanzlichen Anhörung genügten dem erforderlichen Anbeweis. Soweit dem Kläger der Nachweis von beratungsfehlern gelingen würde, würde deren Ursächlichkeit für den Anlagebeschluss tatsächlich vermutet. Vorliegend sei es vor dem Hintergrund einer möglichen Verjährung seiner Ansprüche nicht grob fahrlässig gewesen, dass der Anleger den ihm überlassenen Emissionsprospekt nicht gelesen habe und ein Beratungsprotokoll “blind“ unterschrieben habe.

Zu Recht hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, dass eine Parteivernehmung nach den Grundsätzen zum “Vier-Augen-Gespräch“ nicht in Frage kommen; denn keine der beiden Parteien konnte auf einen Zeugen zurückgreifen, da sie selbst miteinander gesprochen hatten. Problematisch an der Entscheidung ist aber, dass der Bundesgerichtshof wegen der Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit einer streitigen Behauptung auf die beweisbelastete Partei selbst abstellt, die dahingehend erst noch zu vernehmen ist. Es ist zu bezweifeln, dass eine Verpflichtung zur Parteivernehmung so ausufern darf. Für geschädigte Anleger ist der Entscheidungstenor aber erfreulich.