Keine Verwirkung des Widerrufsrechts nach unwirksamer Belehrung allein wegen 3 Jahre zurückliegender Rückführung des Darlehens

OLG Karlsruhe, Urteil v. 14.04.2015, 17 U 57/14 (nicht rechtskräftig)
Leitsätze:
1. Ein Darlehensnehmer verwirkt sein Recht zum Widerruf nach unwirksamer Widerrufsbelehrung nicht allein dadurch, dass die Finanzierung der verbundenen Kapitalanlage bereits über drei Jahre vollständig zurückgeführt ist.

2. Auf ein Vertrauen auf den Bestand der Verträge im Rahmen des „Umstandsmoments“ kann sich der Darlehensgeber jedenfalls dann nicht mehr berufen, wenn höchstrichterliche Entscheidungen die Unwirksamkeit der von ihm verwendeten Widerrufsbelehrung feststellen. (amtliche Leitsätze)

Gründe:
I. Der Kläger verlangt von der beklagten Bank die Rückabwicklung eines Finanzierungsvertrags Zug um Zug gegen Übertragung der Rechte des Klägers aus der finanzierten Beteiligung an einem Filmfonds.

Mit Zeichnungsschein vom 29.11.2003 beteiligte sich der Kläger, ein damals 44-jähriger Diplomingenieur, mit 25.000 € an der M.I. Fonds KG, wobei er 11.000 € davon durch Begebung einer Inhaberschuldverschreibung über die Beklagte finanzierte. Der Begebungsvertrag ist ebenso wie eine Muster-Widerrufsbelehrung im Fondsprospekt enthalten, der dem Kläger vorlag. Im Zeichnungsschein selbst ist keine Widerrufsbelehrung enthalten, sondern nur ein Hinweis auf das Widerrufsrecht. Der Kläger bestätigte durch gesonderte Unterschrift, die Vertragsunterlagen inklusive den Beteiligungsprospekt sowie die beiden Widerrufsbelehrungen (bzgl. der Beitrittsvereinbarung und bzgl. des Begebungsvertrags) erhalten und zur Kenntnis genommen zu haben.

Die Widerrufsbelehrung zum Begebungsvertrag lautet auszugsweise wie folgt:

Widerrufsrecht: Sie können Ihre

(1) in der Beitrittsvereinbarung enthaltenen, auf die Aufnahme der Fremdfinanzierung (Vertrag über die Begebung und Übernahme einer Inhaberschuldverschreibung) gerichteten Willenserklärungen an den Treuhänder/Verwalter ab Unterzeichnung dieser Beitrittsvereinbarung und

(2) die in Ihrem Namen von dem Treuhänder/Verwalter abgegebenen Willenserklärungen zur Aufnahme der Fremdfinanzierung (Vertrag über die Begebung und Übernahme einer Inhaberschuldverschreibung)

innerhalb von zwei Wochen ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, eMail) widerrufen. Die Frist beginnt frühestens mit Erhalt dieser Belehrung. Zur Wahrung der Widerrufsfrist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs. Der Widerruf ist zu richten an ...“

Der Kläger erzielte mit der Fondsbeteiligung Steuervorteile. Zudem erhielt er Ausschüttungen aus der Fondsbeteiligung i. H. v. insgesamt 11.119,47 € (zzgl. einer weiteren Ausschüttung im Verlauf des Berufungsverfahrens von 568,60 € am 10.2.2015).

Mit Schreiben vom 7.2.2013 widerrief der Kläger den mit der Beklagten geschlossenen Darlehensvertrag.

Mit der am 21.8.2013 eingereichten und der Beklagten am 12.9.2013 zugestellten Klage hat der Kläger Rückabwicklung beansprucht, wobei er die Erstattung der erbrachten Eigenleistung (inkl. Agio) abzüglich erhaltener Ausschüttungen Zug um Zug gegen Rückübertragung der Fondsbeteiligung, die Erstattung außergerichtlicher Rechtsverfolgungskosten, die Feststellung des Annahmeverzugs sowie der Freistellung von etwaigen Nachschusspflichten aus Darlehen und Kommanditistenbeteiligung verlangt. Das LG hat die Klage als unbegründet abgewiesen.

II. Die Berufung des Klägers ist zulässig und hat auch in der Sache überwiegend Erfolg.

Im Streitfall erfolgt eine Rückabwicklung aufgrund verbraucherkreditrechtlichen Widerrufs, nachdem der Kläger seine auf den Abschluss des Finanzierungsvertrags gerichtete Willenserklärung wirksam widerrufen hat (1). Von einer Verwirkung des Widerrufsrechts oder der Ansprüche des Klägers aus dem Rückabwicklungsverhältnis ist nicht auszugehen. Denn es fehlt jedenfalls an dem für die Verwirkung erforderlichen Umstandsmoment (2). Hinsichtlich der vom Kläger hieraus abgeleiteten Rechtsfolgen ist das Klagebegehren überwiegend begründet (3, 4).

1. Dem Kläger stand hinsichtlich des Finanzierungsvertrags ein Widerrufsrecht nach den § 491 Abs. 1, § 495 Abs. 1, § 355 BGB in der bis zum 10.6.2010 geltenden Fassung (im Folgenden: a. F.) zu, welches er mit seiner Erklärung vom 7.2.2013 wirksam ausgeübt hat. Die Widerrufserklärung des Klägers ist auch rechtzeitig erfolgt, weil mangels ordnungsgemäßer Widerrufsbelehrung der Lauf der Widerrufsfrist nicht begonnen hatte (§ 355 Abs. 2 Satz 1 BGB a. F. i.V. m. Art. 229 § 9 Abs. 1 Satz 1 EGBGB).

a) Die Belehrung über das Widerrufsrecht für die Finanzierungsvertragserklärung des Klägers war unzutreffend. Denn sie ließ den Kläger bei der Beurteilung, ab wann die Widerrufsfrist läuft, im Unklaren und konnte ihn deshalb von der Ausübung des Widerrufs abhalten. Folge ist, dass die 14-tägige Widerrufsfrist nicht in Gang gesetzt wurde (§ 355 Abs. 3 Satz 3 BGB a. F.) und der Kläger den Widerruf auch noch im Jahr 2013 wirksam erklären konnte. …

b) Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg auf den Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes mit Blick auf die Schutzwirkung des § 14 Abs. 1 BGB-InfoV (mit dem Muster der Anlage 2 in der bis zum 31.3.2008 geltenden Fassung, BGBl I 2004, 3102) berufen. Der BGH hat zwar mit Entscheidung vom 15.8.2012 (ZIP 2012, 1918 = WM 2012, 1886, Rz. 14, dazu EWiR 2012, 789 (Hoeren)) klargestellt, dass sich der Verwender der Musterbelehrung auf die Schutzvorschrift des § 14 Abs. 1 BGB-InfoV berufen kann. Das gilt jedoch nur im Falle vollständiger Identität der erfolgten Belehrung mit der vorgenannten Musterbelehrung, sowohl inhaltlich als auch der äußeren Gestaltung nach (BGH WM 2012, 1668, Rz. 14 ff.; BGH ZIP 2011, 1858 = WM 2011, 1799, Rz. 36, 37 m.w. N., dazu EWiR 2011, 803 (Theewen)). An einer solchen Identität fehlt es hier. …

2. Zu Unrecht hat das LG angenommen, die Ausübung des Widerrufsrechts durch den Kläger sei verwirkt gewesen. Verwirkung setzt voraus, dass der Berechtigte ein Recht längere Zeit nicht geltend gemacht hat, obwohl er dazu in der Lage gewesen wäre, und dass der Gegner sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dass dieser sein Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde, und die verspätete Geltendmachung daher gegen Treu und Glauben verstößt (vgl. etwa BGH ZIP 2004, 2319 = WM 2004, 2491 = juris Rz. 23).

In diesem Zusammenhang verweist die Beklagte ohne Erfolg auf den bloßen Zeitablauf vom Vertragsschluss bis zur Erklärung des Widerrufs. Auch wenn im Streitfall zwischen der auf den Abschluss des Finanzierungsvertrags gerichteten Willenserklärung des Klägers vom 29.11.2003 und der Erklärung des Widerrufs am 7.2.2013 über neun Jahre lagen, kommt es darauf nicht entscheidend an. Neben dem „Zeitmoment“ ist für die Annahme einer Verwirkung auch ein „Umstandsmoment“ erforderlich. Hierfür müssen besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Letzteres ist der Fall, wenn der Verpflichtete bei objektiver Betrachtung aus dem Verhalten des Berechtigten entnehmen durfte, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen werde. Ferner muss sich der Verpflichtete im Vertrauen auf das Verhalten des Berechtigten in seinen Maßnahmen so eingerichtet haben, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstünde.

Nach diesem Maßstab fehlt es im Streitfall an hinreichenden, das „Umstandsmoment“ begründenden Tatsachen, so dass eine Verwirkung nicht bejaht werden kann. Zum einen kann die Beklagte ein schutzwürdiges Vertrauen hier schon deshalb nicht in Anspruch nehmen, weil sie die Situation selbst herbeigeführt hat, indem sie dem Kläger keine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung erteilte (BGH WM 2014, 1030, dazu EWiR 2014, 555 (Adenauer)). Dies muss auch im Fall der „bloß fehlerhaften“ (Habersack/Schürnbrand, ZIP 2014, 749, 754 f.) Widerrufsbelehrung gelten, da das Gesetz nur zwischen wirksamer und unwirksamer Belehrung unterscheidet.

Auch hätte es die Beklagte jederzeit in der Hand gehabt, durch eine nachträglich erteilte wirksame Belehrung den Lauf der – dann auf einen Monat verlängerten – Frist in Gang zu setzen und den Schwebezustand zu beenden (vgl. § 355 Abs. 2 Satz 2 BGB a. F.; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 25.10.2000 – 9 U 59/00, juris Rz. 31; OLG Brandenburg, Urt. v. 21.8.2013 – 6 U 55/08, juris Rz. 62; Soergel/Pfeiffer, BGB, 13. Aufl., § 355 Rz. 60).

Schließlich ändert auch der Umstand, dass der Kläger den Widerruf erst über drei Jahre nach vollständiger Rückführung der Finanzierung erklärt hat, daran nichts (a.A. OLG Frankfurt/M., Urt. v. 19.11.2014 – 19 U 74/14). Entgegen der Rechtsauffassung der Berufung ist insoweit auch der Verjährungsregel des § 195 BGB schon deshalb kein entsprechender Rechtsgedanke – Verwirkung ab einem Zeitraum von über drei Jahren zwischen vollständiger Rückführung des Darlehens und Widerrufserklärung – zu entnehmen, weil die dreijährige Regelverjährung kenntnisabhängig ausgestaltet ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB).

Ohnehin konnte sich die Beklagte seit der Entscheidung des BGH vom 8.12.2009 (ZIP 2010, 734 = WM 2010, 721, dazu EWiR 2010, 209 (Corzelius)) nicht auf den Bestand der Verträge einrichten, weil ihr seit diesem Zeitpunkt die Unwirksamkeit der von ihr verwendeten Belehrung bekannt sein musste. Seit dem Jahr 2012 gingen bei der Beklagten im Übrigen bereits zahlreiche Widerrufe von Anlegern ein, sie musste daher ohne Weiteres damit rechnen, dass aufgrund der unzulänglichen Widerrufsbelehrung weitere Widerrufserklärungen von anderen Anlegern eingehen würden.

Zudem kann im Streitfall trotz vollständiger Rückführung der Finanzierung nicht ohne Weiteres – wie von der Beklagten zur Begründung des Umstandsmoments herangezogen – von einem vollständig abgeschlossenen Lebenssachverhalt ausgegangen werden. Im vorliegenden Fall eines verbundenen Geschäfts ist vielmehr die fortbestehende Fondsbeteiligung in die Betrachtung miteinzubeziehen, deren Finanzierung die für sich genommen vollständig rückgeführte Begebung einer Inhaberschuldverschreibung diente (vgl. BGH ZIP 2004, 2319 = WM 2004, 2491 = juris Rz. 19).

3. Der Finanzierungsvertrag hat sich durch den wirksamen Widerruf in ein Rückabwicklungsverhältnis umgewandelt. Danach hat der Kläger als Verbraucher gegen die Beklagte als finanzierende Bank einen Anspruch auf Rückerstattung aller aus seinem Vermögen an Finanzierungsgeber und Unternehmer erbrachten Leistungen. Hierzu gehören neben etwaigen an den Übernehmer der Inhaberschuldverschreibung erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen auch die Zahlungen, die er aus eigenem Vermögen an den Unternehmer geleistet hat (§§ 357, 358, 346 ff. BGB a. F.). Hiernach steht dem Kläger ein Anspruch auf Rückzahlung gemäß seinem Zahlungsantrag zu, dessen Höhe von der Beklagten nicht bestritten ist. Steuervorteile muss sich der Kläger entgegen der Auffassung der Beklagten hierauf nicht anrechnen lassen.